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Gedanken im Juli

Gleicher Maßstab

In einem seiner letzten Interviews bemerkte der einstige niederländische Prinzgemahl Claus von Amsberg, dass immer wieder gefragt werde, wie lange demokratisch verfasste Gemeinwesen noch bereit sein würden, Monarchen zu ertragen. Er hielt die Frage für berechtigt, fragte sich jedoch seinerseits, wie lange sich noch Menschen finden würden, die bereit seien, Monarchen zu sein.

Dies dürfte keineswegs nur Koketterie gewesen sein. Denn nüchtern betrachtet ist in unseren hochgradig individualistischen Gesellschaften, in denen jeder Religionsstifter, Gesetzgeber, Richter und höchste moralische Instanz zu sein vermeint, Ausübung von Macht wenig erbaulich die Ausübung von Macht - und sei sie auch nur repräsentativ - wenig erbaulich.

Das beginnt schon im Kleinsten. Da soll in einem hübschen bayerischen Ort der Dorfplatz neu gestaltet werden. Nach langem Hin und Her wird einer der Pläne verwirklicht. Ein unbefangener Außenstehender würde wahrscheinlich sagen, das Projekt sei recht gut gelungen. Jedenfalls sei der Platz jetzt viel ansprechender als zuvor.
Nicht so die Ortsansässigen. Für viele ist das Ganze ein Missgriff. „Scheußlich“ ist noch einer der harmloseren Verdikte. Der Bürgermeister samt politischer Mehrheit seien ganz einfach Versager. Hätte man nur auf irgendjemand anderen gehört.

Nun steht außer Frage, dass es in der Politik viele Versäumnisse und Fehler gibt. Aber deren Zahl dürfte nicht größer sein als in anderen Bereichen menschlichen Miteinanders. Der wesentliche Unterschied ist, Oft maßlose Kritik an der Politik dass in der Politik jede Schwäche mit einer Härte und Häme gebrandmarkt wird, die in anderen Bereichen als maßlos und unanständig gelten würde.

Wer ist bereit, das auf sich zu nehmen? Wie die Erfahrung zeigt jedenfalls abnehmend Männer und Frauen, die auch anderweitig erfolgreich sein können. Warum sich zwingen lassen, selbst Privatestes vor der Öffentlichkeit auszubreiten, sogar für Dinge, die die Öffentlichkeit gar nicht berühren, rechenschaftspflichtig zu sein und sich für Geleistetes mitunter auch noch unflätig beschimpfen zu lassen? Allzu oft ist zu hören, das tue ich mir nicht an, das habe ich nicht nötig.

Die Politik ist zweifellos mängelbehaftet. Die Kritik an ihr allerdings auch. Der Souverän, das Volk, einschließlich der Medien sollte einmal selbstkritisch prüfen, ob er dieselben Maßstäbe, die er an die Politik anlegt, auch an sich selbst angelegt sehen möchte.

Die Politiker, so heißt es oft, müssten ihr Verhältnis zur Bevölkerung überdenken. Wohl wahr. Verhältnis überdenken Umgekehrt gilt jedoch das Gleiche. Sonst könnte es geschehen, dass sich früher oder später nur noch Hohlköpfe und krankhaft Geltungssüchtige für politische Ämter zur Verfügung stellen. Soweit sollte es nicht kommen. Aber Entwicklungen in diese Richtung sind unübersehbar.